Irren ist menschlich – warum passieren Fehler
Fehler ist nicht gleich Fehler. Es gibt viele Begrifflichkeiten zum Thema “Umgang mit Fehlern”, die leicht zur Verwirrung in Diskussionen führen können. In diesem Beitrag geht es deshalb um Fehler und ihre Ursachen. Und um den Zusammenhang mit Sicherheit und Unfällen. Dazu nutze ich das Fehlermodell nach James Reason (1990), das ich am anschaulichsten für eine Einführung in das Thema halte.
Was sind Handlungsfehler?
In diese Kategorie fallen die Tätigkeiten, die unmittelbar am “Front End” eines Prozesses zu einem nicht gewünschten Ereignis, also einem Unfall, einem Schaden, Wartezeit, usw. führen. Und zwar ohne dass hierfür ein zufällig oder unvorhersagbar auftretendes Umweltereignis, z.B. ein Blitzeinschlag, regelwidriges Verhalten Dritter usw. verantwortlich gemacht werden kann.
Das sind die aktiven Fehler, die jeder sehen kann und im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen.
Man unterscheidet 5 Ausprägungen:
Achtung:
Diese Handlungen sind zwar in den meisten Fällen der direkte Auslöser für ein Problem, z.B. einen Arbeitsunfall, Qualitätsfehler usw.
Menschliche Fehler alleine sind aber nicht das Problem, sondern immer auch Symptome für tieferliegende Probleme und Ursachen im System.
Und wenn Mitarbeiterfehler mit im Spiel sind, müssen Sie sich bei Root Cause Analysen auf diese systemischen Ursachen konzentrieren.
Fehlerklassifikation nach James Reason
Übersicht
Bei den menschlichen Fehlern geht es um die nächste Ursachenebene der Handlungsfehler. James Reason hat hierzu 1990 das folgende Modell mit verschiedenen Fehlerarten entwickelt.
Planungsfehler und falsche Entscheidungen
In diesem Fall verläuft die Handlung wie geplant, aber das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen. Der Plan war also schlicht ungeeignet.
Regelbasierte Fehler
Diese Fehler passieren, wenn ein Handlungsplan vorliegt, aber eine an sich “richtige” Regel im jeweiligen Fall falsch oder nicht angewendet wird. Oder es wird bei einer geplanten Handlung auf eine “falsche” Regel zurückgegriffen.
Ursache:
Eine Regel, die sich in früheren Situation bewährt hat, wird durch eine falsche Einschätzung auf die aktuelle Situation übertragen.
Beispiele:
Es ist Winter. Sie nähern sich einer roten Ampel und bremsen ab. Bei der Entscheidung, wann Sie mit dem Bremsen beginnen, haben Sie jedoch nicht berücksichtigt, dass die Straße glatt ist. Deshalb ist der Bremsweg länger als auf einer trockenen Straße und Sie fahren auf das Fahrzeug vor Ihnen auf. Sie haben in diesem Fall also die richtige Handlung “bremsen” wegen falscher Einschätzung der Situation falsch ausgeführt.
Sie sind Ersthelfer und müssen bei einem Kollegen, der einen Herzinfarkt erleidet, Erste Hilfe leisten. Wenn Sie jetzt die Herzdruckmassage mit falscher Frequenz und ungenügender Einpresstiefe ausführen, wenden Sie eine an sich “richtige” Regel falsch an.
Es ist mitten in der Nacht. Sie sind schon sechs Stunden unterwegs. Noch eine Stunde bis nach hause. Sie überfällt die Müdigkeit, fahren aber doch weiter. Und dann übersehen Sie ein parkendes Auto. Im Unterbewusstsein fahren Sie noch vorbei, touchieren aber mit dem rechten Außenspiegel das fremde Auto. Ursache: Sekundenschlaf. Durch die falsche Einschätzung der Situation haben Sie ein “richtige” Regel nicht angewendet: rechtzeitig ausreichende Pausen zu machen.
Wissensbasierte Fehler
Hier geht es um die falsche Ausführung von Tätigkeiten wegen fehlenden Standards, fehlendem Wissen, mangender Routine usw.
Beispiele:
Der Mitarbeiter ist neu an einem Arbeitsplatz, wird nur oberflächlich eingewiesen und führt eine Handlung falsch aus.
In diese Kategorie fallen aber auch die Fehler durch Selbstüberschätzung: Der Mitarbeiter glaubt mit einer Tätigkeit zurechtzukommen, die er eigentlich noch nie gemacht hat. Anstatt andere um Hilfe zu bitten, versucht er eine unbekannte Tätigkeit alleine zu Ende zu bringen – und scheitert. Dieses Phänomen ist häufig bei wechselnden Einsatzstellen wie z.B. bei Monteuren im Außendienst zu beobachten.
Ein Staplerfahrer, der bisher nur Lasten von 1to transportiert hat, soll kurzfristig mit einem 8to-Stapler große und schwere Lasten transportieren, obwohl er das noch nie gemacht hat – und hat prompt Probleme beim Rangieren und kippt den Stapler um, weil er keine Erfahrung mit so schweren Lasten hat.
Regelverstöße
Auch in diesem Fall erfolgt die Handlung bewusst. Regelverletzung ist beabsichtigt. Negative Konsequenzen werden in Kauf genommen.
Situationsbedingter Verstoß
In diesem Fall werden Arbeitsanweisungen, Sicherheitsvorschriften, die Arbeitsordnung, usw. wegen speiellen Situationen bewusst nicht beachtet. Es kann notwendig sein, wegen einer Güterabwägung eine bestimmte Regel nicht zu beachten. Eine kalkuliertes Risiko bei Verletzung der Regel wird in Kauf genommen.
Die Gründe können vielfältig sein, zum Beispiel:
- Zeitdruck sein, etwas noch schnell fertig machen zu müssen,
- eine kurzfristige Arbeitsüberlastung z.B. wegen plötzlichen Ausfall eines Mitarbeiters,
- ungewöhnliche Wetterbedingungen,
- ungeeignetes Werkzeug oder Ausrüstung für eine planmäßige oder außerplanmäßige Tätigkeit.
Verstoß im Interesse des Unternehmens
Zum Beispiel könnte ein Mitarbeiter versuchen, durch unautorisierte Nutzung von vertraulichen Informationen einen Wettbewerbsvorteil für das eigene Unternehmen zu erlangen.
Angenommen, ein Mitarbeiter eines Technologieunternehmens hat Zugang zu nicht öffentlichen Informationen über die geplanten Produkte eines Konkurrenten. Um sicherzustellen, dass sein eigenes Unternehmen im Wettbewerb einen Vorteil hat, entscheidet sich der Mitarbeiter möglicherweise dazu, diese Informationen zu verwenden, um die eigene Produktentwicklung zu beschleunigen oder spezifische Marketingstrategien anzupassen.
Verstoß aus eigenem Interesse
Hier werden Arbeitsanweisungen, Sicherheitsvorschriften, die Arbeitsordnung, usw. zum eigenen Vorteil nicht beachtet.
Beispiel:
Zum Schleifen von Metallteilen ist eine Schutzbrille vorgeschrieben, die aber bewusst nicht getragen wird. Weil Sie unbequem oder für den vorgesehemem Zweck nicht geeignet ist.
Aber auch wenn die Regeln bewusst nicht beachtet werden, können die Hintergründe doch vielfältig sein: liegt es nur an dem Mitarbeiter oder ist z.B. die Standard-Schutzbrille für ihn persönlich aus bestimmten Gründen nicht geeignet? Und das Unternehmen hat bisher keine geeignete Schutzbrille anschaffen können?
Situationsbedingter Regelverstoß
Auch hier werden Arbeitsanweisungen, Sicherheitsvorschriften, die Arbeitsordnung, usw. wegen speiellen Situationen bewusst nicht beachtet. Die Gründe können vielfältig sein, zum Beispiel:
- Zeitdruck sein, etwas noch schnell fertig machen zu müssen,
- eine kurzfristige Arbeitsüberlastung z.B. wegen plötzlichen Ausfall eines Mitarbeiters,
- ungewöhnliche Wetterbedingungen,
- ungeeignetes Werkzeug oder Ausrüstung für eine planmäßige oder außerplanmäßige Tätigkeit.
Fahrlässiger Verstoß
In diesem Fall wird ebenfalls bewusst gegen Regeln verstoßen. Gleichzeitig werden jedoch negative Konsequenzen für das Unternehmen, für Dritte oder für sich selbst in Kauf genommen.
Beispiele:
- Benutzung des Telefons während des Transports von Gütern mit einem Gabelstapler
- Nutzung von ungeeigneten Leitern, weil die Hebebühne erst aus einer anderen Halle geholt werden muss
- Durchführung von Heißarbeiten ohne Heißarbeitsschein und geeigneten Feuerlöscheinrichtungen
- Transport von Personen auf den Gabeln eines Gabelstaplers
- …
Bei den menschlichen Fehlern nicht bei dem betroffenen Mitarbeiter aufhören “warum?” zu fragen
An dieser Stelle hören die Unternehmen, die noch keine konstruktive Fehlerkultur praktizieren, leider oft mit der Ursachensuche auf.
Speziell bei Arbeitsunfällen wird gerne “menschliches Versagen” (=menschlicher Fehler) als alleinige Hauptursache kommuniziert.
Solche Erklärungen sind bequem: den Personen, die direkt Unfälle verursachen, die “Schuld” zuzuweisen, suggeriert, dass solche Unfälle unvermeidbar seien.
Die Vorgesetzten fühlen sich von jeglicher Verantwortung befreit, was zu einfachen Empfehlungen führt: “Die Mitarbeiter müssen eben diszipliniert arbeiten, vielleicht noch ein Training absolvieren oder eben noch vorsichtiger sein!”.
Diese Denkweise passt aber nicht zu einem wrksamen Fehlermanagement. Das sind keine geeigneten Verbesserungsmaßnahmen, um ähnliche Vorfälle zukünftig zu vermeiden.
Untersuchungen von Unfällen und außergewöhnlichen Ereignissen zeigen, dass menschliche Fehler in der Regel Symptome von tieferliegenden Fehlern sind: z.B. ungeeignete Arbeitsschritte in Prozessen Prozessen, Problemen mit der Ausrüstung, Probleme mit Einstellung und Verhalten, usw.. Je größer die Auswirkungen sind, umso mehr dieser latenten Fehler bzw. Probleme werden Sie in der Regel identifizieren.
Die gute Nachricht:
Je mehr systemische Probleme (unter der Wasseroberfläche) Sie identifizieren und eliminieren, umso geringer ist das Risiko, dass es am “Front End” zu einem Handlungsfehler kommt, der eventuell in einer Katatstrophe endet.
Irrtümer und Missgeschicke
Hier werden Handlungen anders ausgeführt, als sie ursprünglich geplant waren.
Aufmerksamkeitsfehler
Das sind in der Regel Fehler bei Routinehandlungen bzw. Tätigkeiten, die vom Unterbewusstsein gesteuert werden.
Beispiel:
Sie laufen durch die Werkstatt und stolpern über einen am Boden liegenden Schlauch und fallen hin. Weil Sie mit Ihren Gedanken wo anders sind, wird die Bewegung Ihrer Füße durch den Automatikmodus Ihres Gehirns gesteuert. Sie achten bewusst nicht auf den Boden, weil Sie dort nichts vermuten und stolpern können.
Das passiert Ihnen z.B. im beim Klettern im Gebirge nicht. Dort achten Sie bei jedem Schritt auf die Bodenverhältnisse und achten bewusst bei jedem Tritt darauf, wo Sie Ihre Füße hinseten.
In der Sprache der Arbeitssicherheit heißt dieses Verhalten: “Mit dem Kopf bzw. mit den Augen nicht bei der Sache.”
Gedächtnisfehler
Auch hier ist der Standardablauf bekannt, man kann sich aber an das eine oder andere Detail nicht mehr erinnern und macht deshalb einen Fehler.
Beispiel:
Sie gehen in das Werkzeugmagazin um fünf verschiedene Betriebsmittel für Ihren Arbeitsplatz zu holen. Als Sie zurückkommen, stellen Sie fest, dass Sie ein Teil vergessen haben – und müssen deshalb den Weg noch mal machen.
Gedächtnisfehler passieren auch dann oft, wenn jemand eine Routinetätigkeit eine längere Zeit nicht gemacht hat.
2 Comments
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SigmaConsult Unternehmensberatung
Peter Cartus
Am Scheibchen 17
66620 Nonnweiler
Tel: 0176 47804074
E-Mail: info@peter-cartus.de
Sie wollen jetzt Ihre Arbeitsunfälle, Kundenreklamationen, Never Events, Qualitätsprobleme, Mitarbeiterfehler usw. in den Griff bekommen.
Das schreiben Sie mir doch eine kurze Nachricht. Ich melde mich umgehend bei Ihnen.
Besonders in der Logistik spielt Sicherheit eine grosse Rolle. Wie beschrieben, ist ein Stapler nicht gleich ein Schwerlaststapler. Da wirken ganz andere Kräfte, die man nicht einschätzen kann ohne die Erfahrung und den Führerschein. Auch bei Teleskopstapler kommt es oft vor, dass physikalische Hebelwirkungen nicht berücksichtigt werden.
Düsenstapler, absolut richtig, was Du sagst.
Ich würde noch hinzufügen, dass es nicht ausreicht, irgendwann einmal eine Ausbildung auf die verschiedenen Staplertypen gemacht zu haben.
Gerade für den Tagesbetrieb mit den vielen unterschiedlichen Situationen sollte ein Staplerfahrer unbedingt auch Erfahrung und Routine im Umgang mit seinem Gerät haben. Und die bleibt nur erhalten, wenn er regelmäßig mit den Geräten fährt.
Meine Empfehlung:
Oft ist eine hohe Flexibilität beim Einsatz von Mitarbeitern für den innerbetrieblichen Transport auf den verschiedenen Staplertypen erwünscht. Denn ab und zu wird ja mal jemand krank oder hat Urlaub. Und der Betrieb muss ja weiterlaufen.
Damit die Fahrer deshalb ihre Routine nicht verlieren, würde ich einen Pan machen, die Mitarbeiter gezielt für eine bestimmte Periode, z.B. wöchentlich oder zwei-wöchentlich auf den unterschiedlichen Staplertypen einzusetzen.